"NONE OF US IS SAFE" — VON GALEN
1941
Wir Fordern Gerechtigkeit
It follows the full text transcript of
Bishop von Galen's Wir Fordern Gerechtigkeit
(We Demand Justice)
sermon, delivered at the St. Lamberti Church in Munster,
Germany — July 13, 1941.
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the
English translation of this sermon.
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Meine lieben
Katholiken von Sankt Lamberti! |
Es
war mir ein Bedürfnis, heute von der Kanzel der
Stadt- und Marktkirche aus persönlich mein
bischöfliches Hirtenwort zu den Ereignissen der
vergangenen
Woche zu verlesen, und besonders euch, meinen
früheren Pfarrkindern,
meine innige Teilnahme auszusprechen. Gerade in
einigen Bezirken
der Lambertigemeinde, freilich auch an anderen
Stellen der Stadt, sind
ja die Verwüstungen und Verluste besonders groß.
Ich hoffe, daß durch das
Eingreifen der zuständigen städtischen und
staatlichen Stellen, besonders
aber auch durch eure Bruderliebe und die
Erträgnisse der heutigen Kollekte
für die Hilfsaktion des Caritasverbandes und der
Pfarrcaritas, ein Teil der
Not behoben wird.
Ich hatte mir vorgenommen, noch ein kurzes Wort
hinzuzufügen über den
Sinn der Göttlichen Heimsuchung: wie Gott uns
darin sucht, um uns zu sich
heimzuholen! Gott will Münster zu sich
heimholen! Wie waren unsere Vorfahren
bei Gott, in Gottes heiliger Kirche heimisch!
Wie war ihr Leben so
ganz getragen vom Glauben an Gott, geführt von
der heiligen Furcht Gottes
und von der Liebe Gottes; das öffentliche Leben
wie das Familienleben
und auch das Geschäftsleben. War es in unseren
Tagen noch immer so?
Gott will Münster zu sich heimholen!
Darüber wollte ich heute noch einige Gedanken
euch aussprechen. Aber
ich muß für heute darauf verzichten, denn ich
sehe mich genötigt, etwas
anderes heute hier öffentlich zur Sprache zu
bringen: ein erschütterndes
Ereignis, das gestern, zum Abschluß dieser
Schreckenswoche über uns gekommen
ist.
Noch steht ganz Münster unter dem Eindruck der
furchtbaren Verwüstungen,
die der äußere Feind und Kriegsgegner in dieser
Woche uns zugefügt
hat. Da hat gestern, zum Schluß dieser Woche,
gestern, am 12. Juli, die
Geheime Staatspolizei die beiden Niederlassungen
der Gesellschaft Jesu,
des Jesuitenordens, in unserer Stadt, Haus
Sentmaring an der Weseler Straße
und das Ignatius-Haus an der Königsstraße
beschlagnahmt, die Bewohner
aus ihrem Eigentum vertrieben, die Patres und
Brüder genötigt, unverzüglich,
noch am gestrigen Tage, nicht nur ihre Häuser,
nicht nur unsere
Stadt, sondern auch die Provinz Westfalen und
die Rheinprovinz zu verlassen.
Und das gleiche harte Los hat man ebenfalls
gestern den Missionsschwestern von der
Unbefleckten Empfängnis in Wilkinghege, an der
Steinfurter
Straße, bereitet. Auch ihr Haus wurde
beschlagnahmt, die Schwestern
sind aus Westfalen ausgewiesen und müssen
Münster bis heute abend
6 Uhr verlassen. Die Ordenshäuser und
Besitzungen sind samt Inventar zu
Gunsten der Gauleitung Westfalen-Nord enteignet.
So ist also der Klostersturm, der schon länger
in der Ostmark, in Süddeutschland,
in den neu erworbenen Gebieten Warthegau,
Luxemburg, Lothringen
und anderen Reichsteilen wütete, auch hier in
Westfalen ausgebrochen.
Wir müssen uns darauf gefaßt machen, daß in den
nächsten Tagen
solche Schreckensnachrichten sich häufen; wenn
auch hier ein Kloster nach
dem anderen von der Gestapo beschlagnahmt wird, und
seine Bewohner, unsere
Brüder und Schwestern, Kinder unserer Familien,
treue deutsche Volksgenossen,
wie rechtlose Heloten auf die Straße geworfen,
wie Schädlinge
aus dem Lande gehetzt werden.
Und das in diesem Augenblick, wo alles zittert
und bebt vor neuen Nachtangriffen,
die uns alle töten, einen jeden von uns zu einem
heimatlosen
Flüchtling machen können! Da jagt man schuldlose,
ja hochverdiente, von
Unzähligen hochgeachtete Männer und Frauen aus
ihrem bescheidenen
Besitz, macht man deutsche Volksgenossen, unsere
münsterischen Mitbürger
zu heimatlosen Flüchtlingen.
Weshalb? Man sagte mir: "Aus staatspolizeilichen
Gründen!" Weitere Gründe
wurden nicht angegeben. Kein Bewohner dieser
Klöster ist eines Vergehens
oder Verbrechens beschuldigt, vor Gericht
angeklagt oder gar verurteilt!
Und wäre einer schuldig, so mag man ihn vor ein
Gericht stellen! Aber
darf man dann auch die Schuldlosen strafen?
Ich frage euch, vor deren Augen die Patres der
Jesuiten und die Immakulata-
Schwestern seit Jahren ihr stilles, nur der Ehre
Gottes und dem Heil der
Mitmenschen geweihtes Leben geführt haben, ich
frage euch: "Wer hält
diese Männer und Frauen eines strafwürdigen
Vergehens schuldig? Wer wagt
es, gegen sie eine Anklage zu erheben?" Wer es
wagt, der mag seine Anklage
beweisen! Nicht einmal die Gestapo hat solche
Anklage erhoben, geschweige
denn ein Gericht oder die Staatsanwaltschaft!
Ich bezeuge es hier öffentlich als Bischof, dem
die Überwachung der Orden
amtlich zusteht, daß ich die größte Hochachtung
habe vor den stillen,
bescheidenen Missionsschwestern von Wilkinghege,
die heute vertrieben
werden. Sie sind die Gründung meines
hochverehrten bischöflichen Freundes und
Landsmannes, des Bischofs P. Amandus Bahlmann,
der sie hauptsächlich
für die Mission in Brasilien gegründet hat, in
der er selbst, hochverdient
um das Deutschtum in Brasilien, bis zu seinem
vor drei Jahren
erfolgten Tode unermüdlich und segensreich
gewirkt hat.
Ich bezeuge als deutscher Mann und als Bischof,
daß ich vor dem Jesuitenorden, den ich seit
meiner frühen Jugend, seit fünfzig Jahren, aus
nächster Beobachtung kenne, die größte
Hochachtung und Verehrung empfinde, daß ich der
Gesellschaft Jesu, meinen Lehrern, Erziehern und
Freunden bis zum letzten Atemzug in Liebe und
Dankbarkeit verbunden bleiben werde. Und daß ich
heute um so größere Verehrung für sie hege,
heute, in dem Augenblick, wo an ihnen die
Vorhersage Christi an seine jünger wieder in
Erfüllung geht:
"Wie sie mich
verfolgt haben, werden sie auch euch
verfolgen. Wenn ihr von der Welt wäret, so
würde die Welt das Ihrige lieben. Weil ihr
nicht von der Welt seid, sondern ich euch
aus der Welt erwählt habe, darum haßt euch
die Welt."
So begrüße ich heute von dieser Stelle aus, auch
im Namen der treuen
Katholiken der Stadt Münster und des Bistums
Münster, diese von Christus
Erwählten, von der Welt Gehaßten, in inniger
Liebe bei ihrem Auszug in die
unverdiente Verbannung.
Möge Gott sie belohnen für all das Gute, das sie
uns getan haben! Möge
Gott nicht uns und unsere Stadt dafür strafen,
daß solch ungerechte Behandlung
und Verbannung hier seinen treuen Jüngern und
Jüngerinnen zugefügt
wird! Möge Gottes Allmacht alsbald die teuren
Verbannten, unsere
Brüder und Schwestern, wieder hierher
zurückführen!
Meine lieben Diözesanen! Um der schweren
Heimsuchung willen, die durch
die feindlichen Angriffe über uns gekommen ist,
wollte ich zunächst in der
Öffentlichkeit schweigen über andere kürzlich
erfolgte Maßnahmen der
Gestapo, die meinen öffentlichen Protest geradezu
herausfordern. Aber wenn
die Gestapo keine Rücksicht nimmt auf jene
Ereignisse, durch die Hunderte
unserer Mitbürger obdachlos geworden sind, wenn
sie gerade in diesem
Augenblick fortfährt, schuldlose Mitbürger auf
die Straße zu werfen, des
Landes zu verweisen, dann darf ich auch nicht
mehr zögern, meinen berechtigten
Protest und meine ernste Warnung öffentlich
auszusprechen.
Schon mehrfach und noch vor kurzer Frist haben
wir es erlebt, daß die
Gestapo unbescholtene, hochangesehene deutsche
Menschen ohne Gerichtsurteil
und Verteidigung gefangensetzte, ihrer Freiheit
beraubte, aus der Heimat auswies und irgendwo
internierte. In den letzten Wochen wurden
sogar zwei Mitglieder meines engsten Beirates,
des Domkapitels unserer
Kathedralkirche, von der Gestapo plötzlich aus ihrer
Wohnung geholt, aus Münster
abtransportiert, in weitentlegene Orte verbannt,
die ihnen als Zwangsaufenthalt
angewiesen wurden. Auf meine Proteste beim
Reichskirchenminister
habe ich in den seitdem vergangenen Wochen eine
Antwort
überhaupt noch nicht erhalten. Aber so viel
konnte durch telefonische Rückfrage
bei der Gestapo festgestellt werden: Bei keinem
der beiden Herren
Domkapitulare liegt der Verdacht oder die
Anklage einer strafbaren Handlung
vor. Sie sind völlig ohne jede eigene Schuld,
ohne Anklage und die
Möglichkeit der Verteidigung durch Verbannung
bestraft.
Meine Christen! Hört genau zu: Es ist uns
amtlich bestätigt, daß den Herren
Domkapitularen Vorwerk und Echelmeyer kein
Vorwurf einer strafbaren
Handlung gemacht wird. Sie haben nichts
Strafwürdiges getan! Und
dennoch sind sie mit Verbannung gestraft!
Und warum? Weil ich etwas getan habe, das der
Staatsregierung nicht genehm
war. Bei den vier Besetzungen von
Domherrenstellen in den letzten
zwei Jahren hat die Regierung in drei Fällen mir
mitgeteilt, daß ihr die Ernennung
nicht genehm sei. Weil nach den Bestimmungen des
Preußischen
Konkordates von 1929 ausdrücklich ein
Einspruchsrecht der Regierung ausgeschlossen
ist, habe ich in zwei von jenen vier Fällen die
Ernennung dennoch
vollzogen. Ich habe damit kein Unrecht getan,
ich habe nur mein verbrieftes
Recht ausgeübt. Ich kann das jederzeit beweisen.
Man möge mich
vor Gericht stellen, wenn man glaubt, daß ich
gesetzwidrig gehandelt habe.
Ich bin sicher, kein unabhängiges deutsches
Gericht wird mich wegen meines
Vorgehens bei Besetzung der Domherrenstellen
verurteilen können!
Ist es deswegen, daß man nicht ein Gericht,
sondern die Gestapo eingesetzt
hat, deren Maßnahmen im deutschen Reich einer
gerichtlichen Nachprüfung
leider nicht unterliegen? - Der physischen
Obermacht der Gestapo steht
jeder deutsche Staatsbürger völlig schutzlos und
wehrlos gegenüber. Völlig
wehrlos und schutzlos! Das haben viele deutsche
Volksgenossen im Laufe
der letzten Jahre an sich erfahren: so unser
lieber Religionslehrer Friedrichs,
der ohne Verhandlung und Gerichtsurteil
gefangengehalten wird, so die
beiden Herren Domkapitulare, die in der
Verbannung weilen, so erfahren
es jetzt unsere Ordensleute, die gestern und
heute plötzlich aus ihrem Eigentum,
aus Stadt und Land vertrieben werden.
Keiner von uns ist sicher, und mag er sich
bewußt sein, der treueste, gewissenhafteste
Staatsbürger zu sein, mag er sich völliger
Schuldlosigkeit bewußt
sein, daß er nicht eines Tages aus seiner
Wohnung geholt, seiner Freiheit
beraubt, in den Kellern und Konzentrationslagern
der Gestapo eingesperrt wird.
Ich bin mir darüber klar: das kann auch heute,
das kann auch eines Tages
mir geschehen. Weil ich dann nicht mehr
öffentlich sprechen kann, darum
will ich heute öffentlich sprechen, will ich
öffentlich warnen vor dem Weiterschreiten
auf einem Wege, der nach meiner festen
Überzeugung Gottes
Strafgericht auf die Menschen herabruft und zu
Unglück und Verderben für
unser Volk und Vaterland führen muß.
Wenn ich gegen diese Maßnahmen und Bestrafungen
der Gestapo protestiere,
wenn ich öffentlich die Beseitigung dieses
Zustandes und die gerichtliche
Nachprüfung oder Zurücknahme aller Maßnahmen der
Gestapo fordere, dann
tue ich nichts anderes, als was auch der
Generalgouverneur und Reichsminister
Dr. Hans Frank getan hat, der im Februar dieses
Jahres in der Zeitschrift
der "Akademie für Deutsches Recht" (1941,
2.Heft, S. 25) geschrieben
hat:
"Wir wollen jene solide Ausgeglichenheit
der inneren Ordnung,
die das Strafrecht nicht umkippen läßt in die
absolute Autorität
staatsanwaltlicher Verfolgungsmacht gegenüber
einem von vornherein verurteilten
und jeglicher Verteidigungsmittel beraubten
Angeklagten . . . Das
Recht muß dem einzelnen die legale Möglichkeit
zur Verteidigung, zur Aufklärung
des Tatbestandes und damit zur Sicherung gegen
Willkür und Unrecht
bieten . . . Sonst sprechen wir besser nicht von
Strafrecht, sondern
nur von Strafgewalt ...
Es ist unmöglich, das
Rechtsgebäude zugleich mit
einer völlig verteidigungslosen Verdammung zu
kombinieren ... Unsere
Aufgabe ist es - ebenso laut und nachdrücklich
wie andere, die Autorität in
jeder Form vertreten - zum Ausdruck zu bringen,
daß wir die Autorität des
Rechts als wesentlichen Bestandteil einer
dauernden Macht mutig zu vertreten
haben."
So schrieb Herr Reichsminister Dr. Hans
Frank.
Ich bin mir bewußt, daß ich als Bischof, als
Verkünder und Verteidiger der
von Gott gewollten Rechts- und Sittenordnung,
die jedem einzelnen ursprüngliche
Rechte und Freiheiten zuspricht, vor denen nach
Gottes Willen
alle menschlichen Ansprüche haltmachen müssen,
berufen bin, gleich dem
Minister Frank die Autorität des Rechts mutig zu
vertreten und eine
verteidigungslose Verdammung Schuldloser als
himmelschreiendes Unrecht
zu verurteilen!
Meine Christen! Die Gefangensetzung vieler
unbescholtener Personen ohne
Verteidigungsmöglichkeit und Gerichtsurteil, die
Freiheitsberaubung der
beiden Herren Domkapitulare, die Aufhebung der
Klöster und die Ausweisung
schuldloser Ordensleute, unserer Brüder und
Schwestern, nötigen
mich, heute öffentlich an die alte, niemals zu
erschütternde Wahrheit zu
erinnern: "Justitia est fundamentum regnorum!"
Die Gerechtigkeit ist das
einzig tragfeste Fundament aller Staatswesen!
Das Recht auf Leben, auf Unverletzlichkeit, auf
Freiheit ist ein unentbehrlicher
Teil jeder sittlichen Gemeinschaftsordnung. Wohl
steht es dem Staate
zu, strafweise seinen Bürgern diese Rechte zu
beschränken, aber diese Befugnis
hat der Staat nur gegenüber Rechtsbrechern,
deren Schuld in einem
unparteiischen Gerichtsverfahren nachzuweisen
ist. Der Staat, der diese
von Gott gewollte Grenze überschreitet und die
Bestrafung Unschuldiger
zuläßt oder veranlaßt, untergräbt seine eigene
Autorität und die Achtung
vor seiner Hoheit in den Gewissen der
Staatsbürger.
Wir haben es in den letzten Jahren leider immer
wieder beobachten müssen,
daß mehr oder weniger schwere Strafen, meistens
Freiheitsstrafen,
verhängt und vollzogen wurden, ohne daß den
Bestraften in einem ordnungsmäßigen
Gerichtsverfahren eine Schuld nachgewiesen wäre,
und ohne
daß ihnen Gelegenheit gegeben wurde, ihr Recht
zu verteidigen, ihre Schuldlosigkeit
nachzuweisen. Wie viele deutsche Menschen
schmachten in Polizeihaft,
in Konzentrationslagern, sind aus ihrer Heimat
ausgewiesen, die niemals
von einem ordentlichen Gericht verurteilt worden
sind, oder die nach Freispruch
vor Gericht oder nach Verbüßung der vom Gericht
verhängten Strafe
erneut von der Gestapo gefangengenommen und in Haft
gehalten werden!
Wie viele sind aus ihrer Heimat und aus dem Ort
ihrer Berufsarbeit ausgewiesen!
Ich erinnere erneut an den ehrwürdigen Bischof
von Rottenburg,
Johann Baptist Sproll, einen Greis von 70 Jahren,
der vor kurzem sein 25jähriges
Bischofsjubiläum fern seiner Diözese in der
Verbannung feiern mußte,
weil ihn die Gestapo vor drei Jahren aus seinem
Bistum ausgewiesen hat.
Ich
nenne nochmals unsere beiden Domkapitulare, die
hochwürdigen Herren
Vorwerk und Echelmeyer. Ich gedenke unseres
verehrungswürdigen Herrn
Religionslehrers Friedrichs, der im
Konzentrationslager schmachtet.
Weitere
Namen zu nennen, will ich mir heute versagen.
Der Name eines evangelischen
Mannes, der im Weltkrieg als deutscher Offizier
und Unterseebootkommandant
sein Leben für Deutschland eingesetzt hat, und
nachher
als evangelischer Pfarrer auch in Münster
gewirkt hat, und der jetzt schon seit Jahren
seiner Freiheit beraubt ist, ist euch allen
bekannt, und wir alle
haben die größte Hochachtung vor der Tapferkeit
und dem Bekennermut
dieses edlen deutschen Mannes.
An diesem Beispiel seht ihr, meine Christen, daß
es nicht ein konfessionell-katholisches
Anliegen ist, das ich heute öffentlich vor euch
bespreche, wohl
aber ein christliches, ja ein allgemein
menschliches und nationales, religiöses
Anliegen.
"Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten!"
Wir beklagen es, wir
beobachten es mit größter Sorge, daß wir sehen,
wie dieses Fundament heute
erschüttert wird, wie die Gerechtigkeit, die
natürliche und christliche Tugend,
unentbehrlich für den geordneten Bestand jeder
menschlichen Gemeinschaft,
nicht für alle unzweideutig erkennbar gewahrt
und hochgehalten wird.
Nicht nur um der Rechte der Kirche willen, nicht
nur um der Rechte der
menschlichen Persönlichkeit willen, sondern auch
aus Liebe zu unserem Volke
und in ernster Sorge um unser Vaterland erbitten
wir, verlangen wir, fordern
wir: Gerechtigkeit! Wer muß nicht fürchten für
den Bestand eines Hauses,
wenn er sieht, daß die Fundamente untergraben
werden!
"Die Gerechtigkeit ist das Fundament der Staaten!"
Die Staatsgewalt kann
nur dann der rechtswidrigen Gewaltanwendung des
zufällig Stärkeren, der
Unterdrückung der Schwachen und ihrer
Erniedrigung zu unwürdigem
Sklavendienst mit Ehrlichkeit und der Aussicht
auf dauernden Erfolg entgegentreten,
wenn auch die Inhaber staatlicher Machtmittel
sich in Ehrfurcht
beugen vor der königlichen, Majestät der
Gerechtigkeit und das strafende
Schwert nur im Dienst der Gerechtigkeit
gebrauchen.
Nur jener Gewalthaber
wird auf ehrliche Gefolgschaft und den freien
Dienst ehrenhafter
Männer rechnen können, dessen Maßnahmen und
Strafverfügungen im Lichte
unparteiischer Beurteilung als jeder Willkür
entrückt und mit der unbestechlichen
Waage der Gerechtigkeit abgewogen sich erweisen.
Darum
erzeugt die Praxis der Verurteilung und
Bestrafung ohne die Möglichkeit
der Verteidigung, ohne Gerichtsurteil, "die
verteidigungslose Verdammung
von vornherein Verurteilter", wie Reichsminister
Dr. Frank es nannte ein
Gefühl der Rechtlosigkeit und eine Gesinnung
ängstlicher Furchtsamkeit
und knechtischer Feigheit, die auf die Dauer den
Volkscharakter verderben
und die Volksgemeinschaft zerreißen müssen.
Das ist die Überzeugung und die Besorgnis aller
rechtlich denkenden deutschen
Menschen. Das hat ein hoher Justizbeamter im
Jahre 1937 im Reichsverwaltungsblatt offen und
mutig ausgesprochen. Er schrieb:
"Je größer die
Machtvollkommenheit einer Behörde ist, um so
notwendiger ist eine Gewähr
für einwandfreie Handhabung; denn um so
schwerer werden
Mißgriffe empfunden, um so größer ist auch die
Gefahr der Willkür und des
Mißbrauchs.
Wird die Verwaltungsgerichtsbarkeit
ausgeschlossen, so muß
in jedem Fall ein geordneter Weg für
unparteiische Kontrolle gegeben sein,
so daß kein Gefühl der Rechtlosigkeit aufkommen
kann, das jedenfalls auf
die Dauer die Volksgemeinschaft schwer schädigen
müßte."
(Reichsverwaltungsblatt
1937, S. 572 - Herbert Schelcher, Präsident des
Sächsischen
Oberverwaltungsgerichts in Dresden).
Bei den Anordnungen und Strafverfügungen der
Gestapo ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit
ausgeschlossen. Da wir alle keinen Weg kennen,
der für
eine unparteiische Kontrolle der Maßnahmen der
Gestapo, ihrer Freiheitsbeschränkungen,
ihrer Aufenthaltsverbote, ihrer Verhaftungen,
ihres
Gefangenhaltens deutscher Volksgenossen in
Konzentrationslagern gegeben
wäre, so hat bereits in weitesten Kreisen des
deutschen Volkes ein
Gefühl der Rechtlosigkeit, ja feiger
Ängstlichkeit Platz gegriffen, das die
deutsche Volksgemeinschaft schwer schädigt.
Die Pflicht meines bischöflichen
Amtes, für die sittliche Ordnung einzutreten,
die Pflicht meines Eides,
in dem ich vor Gott und vor dem Vertreter der
Reichsregierung gelobt
habe, nach Kräften "jeden Schaden zu verhüten,
der das deutsche Volk
bedrohen könnte", drängen mich, angesichts der
Taten der Gestapo, diese Tatsache
öffentlich warnend auszusprechen.
Meine Christen! Man wird mir vielleicht den
Vorwurf machen, mit dieser offenen Sprache
schwäche ich jetzt im Kriege die innere Front
des deutschen Volkes.
Demgegenüber stelle ich fest: Nicht ich bin die
Ursache einer etwaigen Schwächung der inneren
Front, sondern jene, die ungeachtet der
Kriegszeit, ungeachtet der augenblicklichen Not,
ja, jetzt hier in Münster zum Abschluß einer
Schreckenswoche schauriger Feindesangriffe,
schuldlose Volksgenossen ohne Gerichtsurteil und
Verteidigungsmöglichkeit in harte Strafe nehmen,
unsere Ordensleute, unsere Brüder und
Schwestern, ihres Eigentums berauben, auf die
Straße setzen, aus dem Lande jagen! Sie
zerstören die Rechtssicherheit, sie untergraben
das Rechtsbewußtsein, sie vernichten das
Vertrauen auf unsere Staatsführung. Und darum
erhebe ich im Namen des rechtschaffenen
deutschen Volkes, im Namen der Majestät der
Gerechtigkeit und im Interesse des Friedens und
der Geschlossenheit der inneren Front meine
Stimme.
Darum rufe ich laut als deutscher Mann, als
ehrenhafter Staatsbürger, als Vertreter der
christlichen Religion, als katholischer Bischof:
"Wir fordern Gerechtigkeit!" Bleibt dieser Ruf ungehört und unerhört wird die
Herrschaft der Königin
Gerechtigkeit nicht wiederhergestellt, so wird
unser deutsches Volk und
Vaterland trotz des Heldentums unserer Soldaten
und ihrer ruhmreichen
Siege an innerer Fäulnis und Verrottung zu
Grunde gehen!
Lasset uns beten für alle, die in Not sind,
besonders für unsere verbannten
Ordensleute, für unsere Stadt Münster, daß Gott
weitere Prüfungen von
uns fern halte, für unser deutsches Volk und
Vaterland und seinen Führer.
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